Regierungsprogramm: Dachverband Österreichischer Kinder- und Jugendhilfeeinrichtungen (DÖJ)
„benotet“ numerisch und verbal
Der DÖJ benotet den Regierungsentwurf numerisch in Bezug auf einen Bereich mit 1 („sehr gut“), größtenteils aber mit 5 („nicht genügend“). Auch wenn die neue Regierung verbale Beurteilungen in Volksschulen nicht mehr erlaubt, möchten wir als DÖJ nun trotzdem eine solche für das Regierungsvorhaben im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe vornehmen.
Im Kapitel „Politik für unsere Jugend“ des Regierungsprogrammes soll weiterhin die Kinder-und Jugendhilfe „die Rechte der Kinder und Jugendlichen unterstützen, sie vor allen Formen der Gewalt schützen und die Erziehungskraft der Familien stärken“. Die - daran anschließend - genannte „Ausweitung von Kontrollinstrumenten bei Kinder- und Jugendhilfe (z.B. Vier-Augen-Prinzip) und parlamentarische Enquete“ zeigt immerhin eine minimale Aufmerksamkeit der neuen Regierung auf dieses Ressort. Allerdings mit dem Ziel der Kontrolle anstatt einer qualitativen Entwicklung.
Generell sollte der Kinder- und Jugendhilfe in einem 182-seitigem Regierungsprogramm eine höhere Aufmerksamkeit geschenkt werden als dies der Fall ist. Die für die öffentlichen Jugendhilfe-Maßnahmen der „Unterstützung der Erziehung“ und der „Fremdunterbringung“ österreichweit aufgewendeten Mittel von 570 Mio € bringen durch ihre Effizienz einen hohen Rückfluss der getätigten Kosten, indem weitaus höhere Summen in anderen Ressorts eingespart werden.
Wir bedauern, dass der von der Volksanwaltschaft im aktuellen Sonderbericht dringend geforderte Ausbau von Jugendhilfe-Angeboten zur „Vermeidung von Fremdunterbringung“ und der Ausbau „ambulanter Unterstützungen“ keinen Niederschlag im Regierungsprogramm gefunden hat. Auch nicht die Forderung nach deutlicher Erhöhung des Angebotes an sozialtherapeutischen Betreuungsplätzen, nach Ausbau von Krisenabklärungsplätzen sowie von Krisenzentren für Kinder mit psychiatrischen Diagnosen.
Erfreulich ist der weitere „Ausbau der frühen Hilfen“, der schon seit einigen Jahren im Gang ist.
Wenn die neue Regierung zum Glück auch die „bundesweite Vereinheitlichung des Jugendschutzes“ weiter betreiben will, wäre eine verstärkte bundespolitische Steuerung der Kinder- und Jugendhilfe erst recht angezeigt: die Bundesländer unterscheiden sich hinsichtlich der Ausführung des Kinder-und Jugendhilfe-Gesetzes massiv, sodass z.B. in Kärnten und Wien doppelt so viele Kinder außerhalb ihrer Familie untergebracht werden (= Maßnahme der „Vollen Erziehung“) als in Tirol und Niederösterreich.
Eine Vereinheitlichung der Standards ist unumgänglich.
Ebenfalls kann eine gezielte Förderung der rund 360.000 Kinder und Jugendlichen in Haushalten, die als armuts- und ausgrenzungsgefährdet gelten, aus dem Regierungsprogramm nicht abgeleitet werden. Eine wesentliche Voraussetzung für diesbezügliche Maßnahmen wäre eine neue Kinderkostenerhebung. Diese wurde schon mehrfach gefordert, ist aber nicht Teil des Regierungsprogrammes.
Dass die unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge - unbestritten Teil der Kinder- und Jugendhilfe- erst gar nicht genannt werden, war zu erwarten, Ignoranz „genügt aber nicht“.
Als wirklich neuen Schritt mit der Note „sehr gut“ erkennt der DÖJ allerdings die Zielsetzung der neuen Regierung, ein verbessertes Sozialhilferecht für junge Erwachsene zu schaffen. Das Management der Schnittstelle zwischen Jugend- und Erwachsenhilfe soll neu geregelt werden. DÖJ, Kinder- und Jugendanwaltschaften, Volksanwaltschaften und praktisch alle NGOs, die junge Menschen aus der Jugendhilfe in die Selbständigkeit begleiten, fordern seit vielen Jahren das obligatorische Angebot einer angemessenen Übergangsbegleitung von der Jugendhilfe in die Selbständigkeit. Die aktuelle Form der Beendigung der Jugendhilfe ist ungerecht, wissenschaftlich überholt und volkswirtschaftlich fahrlässig. Es geht immerhin um mehr als 40.000 Kinder und Jugendliche, die laufend von den Maßnahmen der Kinder- und Jugendhilfe betroffen sind.
In diesem Zusammenhang fordert der DÖJ das Angebot einer Begleitung bis zum Alter von 24 Jahren. Durchschnittlich verlassen in Österreich junge Erwachsene erst mit 24 ihre Familien. Eine Begleitung bis zu diesem Alter erscheint erst recht angemessen für junge Menschen, die traumatische Biographien hinter sich haben. Dass diese Begleitung durch jene Fachleute angeboten werden muss, die die jungen Erwachsenen schon während der Jugendhilfe begleiteten, erscheint selbstverständlich.
Der formale Übergang in das Erwachsenenalter, ist nicht nur in der Jugendhilfe, sondern auch im Gesundheitsbereich (Jugendpsychiatrie) und im Jugendstrafvollzug zum Problem geworden, weil jeweils andere Abteilungen zuständig werden und die Übergänge nicht adäquat geregelt sind. Dass der Übergang in das junge Erwachsenenleben zumindest in der Jugendhilfe verbessert werden soll, begrüßen wir als DÖJ ausdrücklich und hoffen, unsere Expertise dabei einbringen zu können. Die Ernsthaftigkeit dieses Regierungsvorhabens wird sich schon in Kürze erweisen: ob nämlich das Kapitel „Hilfen für junge Erwachsene“ in der derzeit stattfindenden Evaluation des Bundes- Kinder- und Jugendhilfegesetzes 2013 wirklich aufgegriffen werden wird.
Das Kinder- und Jugendhilfesystem ist ungerecht
Wer hilft den ganz Kleinen und denen an der Schwelle zum Erwachsenenalter?
Von 19. bis 20. Oktober 2016 tagte in Salzburg die 58. Konferenz der Kinder- und JugendanwältInnen Österreichs. Zentrales Thema dabei waren mangelhafte Hilfssysteme für Kinder und Jugendliche, von den ersten Lebensjahren bis ins junge Erwachsenenalter.
Feigenblatt "Frühe Hilfen"
Längst ist erwiesen, dass die frühe Kindheit (0 bis 3 Jahre) eine zentrale Bedeutung für die Entwicklung eines Kindes hat und zu den prägendsten und gleichzeitig zu den vulnerabelsten Lebensjahren zählt. In dieser Zeit ist die Gefahr der Überlastung bei Familien besonders groß. Die dramatischsten Auswirkungen dieser Überforderung werden immer wieder an Kindesmisshandlungen als Spitze des Eisbergs sichtbar.
Genau hier setzen „Frühe Hilfen“ an. Sie sollen der Idee nach möglichst frühzeitig, niederschwellig und nicht stigmatisierend vom Wochenbett an und unterschiedslos zunächst jeder Mutter/jedem Elternpaar zur Verfügung stehen. Durch die „Frühen Hilfen“ soll der Neubeginn etwas leichter gemacht werden und die Gefahr einer Kindeswohlgefährdung erkannt und durch entsprechende Hilfestellung reduziert werden. Wirksamkeit und Effektivität, auch in Hinblick auf teure Folgekosten, sind längst nachgewiesen.
Doch leider sind die „Frühen Hilfen“, wie so vieles in Österreich, in unterschiedlich aufgestellten und zeitlich begrenzten Projekten aufgesplittert. Nur Vorarlberg hat „Frühe Hilfen“ seit fast zehn Jahren (ausgehend von dem tragischen Tod eines Kleinkindes) konsequent umgesetzt. Trotz best practice-Beispiels und politischer Bekenntnisse sind wir österreichweit von einem breit aufgestellten qualifizierten Angebot für alle noch meilenweit entfernt.
Beispiel:
In Salzburg schätzt man, dass sieben Prozent der jungen Familien Bedarf an weiterführender Hilfe hätten. Das derzeitige Frühe Hilfen-Projekt kann gerade einmal ein Zehntel davon abdecken.
Aus Sicht der KIJAS sind folgende Punkte entscheidend:
Die KIJAS Österreich appellieren dringend, diese Erfolgsfaktoren auf alle Bundesländer auszudehnen. Es ist absolut notwendig, ein so wichtiges Instrument wie die „Frühen Hilfen“, von Beginn an auf gute Beine zu stellen. Sie tragen maßgeblich zum gesunden Aufwachsen von Kindern bei. Hier ist der Bund gefragt, verbindliche Standards vorzugeben. Er kann bei Vorarlberg lernen!
Mit 18 aus dem Nest
Ähnlich uneinheitlich und mangelhaft gestaltet sich das Hilfssystem am anderen Ende der Kindheit, bei den jungen Erwachsenen. In diesem Alter werden wichtige Weichen für die Zukunft gelegt, doch der Übergang zur Verselbständigung (Wohnung, Arbeit, Partnerschaft etc.) ist mitunter schwer und wird im Fachjargon als Adoleszenzkrise bezeichnet.
Im Schnitt ziehen junge Menschen hierzulande mit 24 Jahren von zu Hause aus – und auch dann werden die meisten noch weiter (finanziell) unterstützt. Anders ist es jedoch ausgerechnet bei den Jugendlichen, die außerhalb der Familie, also in Wohngemeinschaften oder Pflegefamilien, aufwachsen. Bei ihnen endet die Hilfe häufig mit der Volljährigkeit. Mit 18 müssen diese jungen Leute auf den eigenen Füßen stehen.
Aktuell werden in Österreich nur 15 Prozent der Maßnahmen der „vollen Erziehung“ der Kinder- und Jugendhilfe nach dem 18. Geburtstag verlängert (bis maximal 21 Jahre). Dabei schwanken die Zahlen von Bundesland zu Bundesland und reichen von rund zehn Prozent in Niederösterreich bis zu fast 30 Prozent in der Steiermark. Die jungen Erwachsenen, die aus der Fremdunterbringung ausziehen müssen, tragen ein erhöhtes Risiko, an den Hürden des Erwachsenwerdens zu scheitern.
Die Diskriminierung der sogenannten „Care Leaver“ ist kein österreichspezifisches Problem, doch in anderen Ländern hat man bereits reagiert:
Auch in Österreich rücken die „Care Leaver“ nun langsam in den Fokus des Interesses. Sowohl an der Uni Salzburg als auch an der Uni Klagenfurt laufen Forschungsprojekte zu ihrer Lebensrealität. Der Dachverband österreichischer Jugendhilfeeinrichtungen (DÖJ) hat in vier Bundesländern für drei Jahre das Modellprojekt „Welcome to life“ gestartet und setzt sich darüber hinaus für zuverlässiges Datenmaterial ein, um auf dieser Basis Verbesserungen anzuregen. Doch für die Jugendlichen ist das mit Sicherheit noch nicht ausreichend.
Die KIJAS fordern:
Das Kindeswohl ist in allen Belangen, die Kinder betreffen, vorrangig zu berücksichtigen - so heißt es in Art. 3 der UN-Kinderrechtskonvention, der seit 2011 in Österreich Verfassungsrang hat.
Es kann nicht sein, dass es in einem kleinen Land wie Österreich einen Unterschied macht, ob ein Kind in Vorarlberg oder im Burgenland lebt und welche Art der der Hilfestellung es bekommt. Die KIJAS Österreich appellieren daher dringend an den Gesetzgeber um entsprechende kinderrechtliche Anpassung.
Der Dachverband Österreichischer Jugendhilfeeinrichtungen DÖJ wurde 2008 als gemeinnütziger Verein gegründet und ist mit der Zahl 937773338 bei der Bezirkshauptmannschaft Mattersburg eingetragen. Mitglieder können private oder öffentliche Träger österreichischer Jugendhilfeeinrichtungen sein, die im Bereich der Maßnahmen der Erziehung nach den Jugendhilfegesetzen der Länder anerkannt sind.