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Eklatante Unterschiede:
Das Kindeswohl ist den Bundesländern unterschiedlich viel wert!

Die neue Jugendhilfe-Statistik 2015 zeigt, dass es zwischen den Bundesländern gravierende Unterschiede bei den Maßnahmen zum Kindeswohl gibt.

Der Dachverband Österreichischer Kinder-und Jugendhilfeeinrichtungen (DÖJ, www.doej.at ) ist besorgt über die massiven Unterschiede in der Praxis der Jugendhilfe zwischen den Bundesländern. „Die Analyse der neuen Jugendhilfe Statistik 2015 deutet darauf hin, dass den Ländern der Kinderschutz und das Kindeswohl unterschiedlich wichtig sind oder dass sie damit zumindest sehr unterschiedlich umgehen.“ meint Hubert Löffler, Geschäftsführer des DÖJ. Er hat die Daten, welche die Bundesländer an das Ministerium für Familie und Jugend übermittelten, analysiert.

„Unterstützung der Erziehung“ und „Fremdunterbringung von Kindern“ sind die wesentlichen Maßnahmen, die die Jugendhilfe eines Landes ergreifen kann, um das gefährdete Wohl von Kindern zu sichern. Im einen Fall besuchen SozialarbeiterInnen die Familie, um sie zu unterstützen. Im anderen Fall werden die Kinder aus der Familie genommen und in einer sozialpädagogischen Einrichtung oder Pflegefamilie untergebracht.

Bezogen auf die Anzahl von Minderjährigen im jeweiligen Bundesland werden diese Maßnahmen z. B. in OÖ in nur 2,3%, in der Steiermark aber in 5,3% eingesetzt! Es ist unwahrscheinlich, dass die Gefährdungen der Kinder in der Steiermark mehr als doppelt so häufig sind. Vielmehr wird das Kindeswohl unterschiedlich definiert oder unterschiedlich wichtig gesehen.

Wenn ein Bundesland doppelt so viel Geld für Maßnahmen zur Verfügung stellt als ein anderes, dann kann die Jugendhilfe doppelt so oft im Sinne des Kindeswohls tätig werden. In der Steiermark und in Kärnten wird pro Minderjährigen fast doppelt so viel Geld für die Maßnahmen der Jugendhilfe ausgegeben (520 €) als in Tirol und Niederösterreich (290 €)! Das heißt allerdings noch nicht, dass das Geld in der Steiermark oder in Kärnten auch doppelt so effektiv eingesetzt ist. Die höheren Kosten eines Bundeslandes können auch auf einer Häufung von Fremdunterbringungen beruhen. Fremdunterbringungen gibt es in Kärnten und in Wien besonders häufig: im Schnitt bei 1,1% der Minderjährigen. In Oberösterreich, Tirol und Niederösterreich gibt es Fremdunterbringungen nur bei 0.7% der Minderjährigen. Die Unterstützung an Stelle von Fremdunterbringung wird in der Steiermark, im Burgenland und in Vorarlberg am stärksten bevorzugt. „Vermutlich wird der Bedarf durch die zur Verfügung gestellten Dienste definiert und nicht die Dienste nach dem Bedarf zur Verfügung gestellt“ meint Löffler.

Auch die Hilfen für junge Erwachsene als Verlängerung der Jugendhilfe nach der formalen Volljährigkeit werden in den Ländern ganz unterschiedlich eingesetzt: In Wien und Niederösterreich sind sie beinahe nicht existent, in Vorarlberg und Tirol recht häufig. Als ob junge Erwachsene in diesen Ländern völlig unterschiedliche Bedarfe hätten.

Der DÖJ und seine mehr als 150 Jugendhilfe-Einrichtungen aus allen Bundesländern möchten zu einem Austausch zwischen den Verantwortlichen für Jugendhilfe in den Bundesländern über die unterschiedliche Handhabung des Kindeswohls aufrufen. „Das Kindeswohl darf nicht in diesem hohen Ausmaß der Beliebigkeit der Länder unterliegen zumal es eine Rahmengesetzgebung durch den Bund gibt. Wir fordern das zuständige Bundesministerium für Familie und Jugend auf, diese nun vorliegenden Daten zum Anlass zu nehmen, um sich für hohe und einigermaßen gleiche Standards der Kinder- und Jugendhilfe in allen Bundesländern einzusetzen.“ meint Gerald Herowitsch-Trinkl, Obmann des DÖJ.

Als Konsequenz der gravierenden Differenzen zwischen den Bundesländern in der Praxis der Kinder- Jugendhilfe fordert der DÖJ vom BMFJ und von Frau BM Karmasin:

  1. Anstrengungen für eine österreichweite Gleichbehandlung von Kindern bei den Maßnahmen der Kinder- und Jugendhilfe. Es genügt nicht, eine Rahmengesetzgebung zu verabschieden und sich damit auch von allen weiteren Tätigkeiten für die Kinder- und Jugendhilfe zu verabschieden.  
  1. 2)Die Übernahme einer österreichweiten Steuerungsfunktion der Kinder- und Jugendhilfe durch das BMFJ trotz - ja gerade wegen - des föderalen Ansatzes der Jugendhilfe in Österreich.
    1. Die Ausführungsgesetze der Bundesländer müssen auf ihre Dienlichkeit und Nützlichkeit und nicht nur ihre rechtliche Richtigkeit geprüft werden.
    2. Die BKJH-Statistiken dürfen nicht nur archiviert werden! Sie sollen vom BMFJ jährlich erörtert werden und es soll dazu Stellung bezogen werden – wie z.B. in Deutschland üblich.
    3. Die Datenerhebung durch die Bundesländer muss verbessert und auf Basis des Auswertungsbedarfes erweitert werden (z.B. durch genauere Definitionen der sozialen Dienste, durch Ergänzung mit qualitativen Angaben).
    4. Der fachliche Dialog zwischen den Bundesländern muss durch entsprechende Veranstaltungen gefördert werden.  
  1. Die aktuell stattfindende Evaluation des Kinder- und Jugendhilfegesetzes hat diese und die nächsten Analyse der Jugendhilfe-Statistik zu berücksichtigen. So minimal und defizitär der Datenpool dieser Statistik auch ist, liefert er trotzdem schon Ansatzpunkte für eine Qualitätsverbesserung, insbesondere wenn man die Unterschiede zwischen den Bundesländern betrachtet.
  1. Eine schnelle Neugestaltung der Übergangsphase ins Erwachsenenleben für junge Menschen, die von der Jugendhilfe unterstützt werden. Die aktuelle Regelung ist finanziell fahrlässig, wissenschaftlich rückständig und unmenschlich.

Im Rahmengesetz soll insbesondere vorgesehen werden:

  1. Verankerung der Hilfen für Erwachsene als Soll-Bestimmung
  2. Indikationskriterien für ihren Einsatz
  3. Ausdehnung bis zum Alter, in dem junge Erwachsene durchschnittlich die Familie verlassen (z.B. 25 Jahre)
  4. Möglichkeit der Neuaufnahme in die Maßnahmen der Jugendhilfe über 18 (z.B. wie in Deutschland bis 21)

 

Information zum DÖJ

Der Dachverband Österreichischer Jugendhilfeeinrichtungen DÖJ wurde 2008 als gemeinnütziger Verein gegründet und ist mit der Zahl 937773338 bei der Bezirkshauptmannschaft Mattersburg eingetragen. Mitglieder können private oder öffentliche Träger österreichischer Jugendhilfeeinrichtungen sein, die im Bereich der Maßnahmen der Erziehung nach den Jugendhilfegesetzen der Länder anerkannt sind.